TN 06/2005, 15. November 2005

Gehaltstarifrunde 2005/2006: Sogenannte „Warnstreiks“ sind derzeit unzulässig

Sehr geehrte Damen und Herren,

aus gegebenem Anlass erlauben wir uns folgende Hinweise zu derzeit von der Gewerkschaft ver.di organisierten Arbeitsniederlegungen („Warnstreiks“) zu geben:

Die Gewerkschaft ver.di hat mit Schreiben vom 12. Juli 2005 ausschließlich den Gehaltstarifvertrag gekündigt. Sie unterliegt somit bezüglich aller Regelungsgegenstände, die nicht mit dem Gehaltstarif in Zusammenhang stehen (Manteltarifvertrag, Rationalisierungsschutz einschl. etwaiger Umstrukturierungsmaßnahmen, Altersteilzeitabkommen etc.), der relativen Friedenspflicht. Arbeitskampfmaßnahmen sind allein zum Zwecke der Durchsetzung eines neuen Gehaltstarifvertrages zulässig.

Die Tarifvertragsparteien verständigten sich bereits im Sommer auf drei Verhandlungstermine für die diesjährige Tarifrunde (17. Oktober, 4. November, 28. November). Zwischen den Tarifvertragsparteien war in der ersten Runde der Tarifverhandlungen am 17. Oktober 2005 abgestimmt worden, dass in der ersten Verhandlungsrunde die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erörtert werden, in der zweiten Verhandlungsrunde die Forderungen beider Seiten zum Manteltarif diskutiert würden und in der dritten Verhandlungsrunde versucht werde, unter Einbezug des in den beiden vorhergehenden Runden erreichten Verhandlungsstandes eine Einigung über die Lohnfrage zu erzielen. Bei diesem Verhandlungsablauf ist es bis heute geblieben. ver.di hat weder am 4. November noch zu einem späteren Zeitpunkt erklärt, dass von dem bisherigen besprochenen Verhandlungsablauf abgerückt werden soll. Insbesondere wurden die Verhandlungen von ver.di nicht für gescheitert erklärt.

Aufgrund dieses Verhandlungsverlaufs sind derzeit von der Gewerkschaft ver.di organisierte Arbeitsniederlegungen – in welcher Form auch immer sie erfolgen – rechtswidrig.

Nach der vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts in der Entscheidung vom 21. April 1971 (AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) weiterentwickelten Arbeitskampflehre ist ein rechtmäßiger Arbeitskampf nur möglich, wenn zuvor auf dem Verhandlungswege keine Ergebnisse erzielt wurden („ultima ratio“-Prinzip). Rechtmäßigkeitsvoraussetzung eines Arbeitskampfes ist es daher, dass die Verhandlungen gescheitert sind. Seit der Entscheidung des BAG vom 21. Juni 1988 (1 AZR 651/86) werden auch sog. „Warnstreiks“ dem Arbeitskampf zugeordnet. Es müssen daher auch für kurzfristige Arbeitsniederlegungen die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des Arbeitskampfes vorliegen.

Diese Voraussetzungen sind bisher in unserem Tarifbereich nicht erfüllt. Insbesondere kann in der Organisation von sog. „Warnstreiks“ nicht konkludent eine Erklärung des Scheiterns der Verhandlungen durch ver.di erblickt werden (so andeutungsweise das BAG in der Entscheidung vom 21. Juni 1988, a. a. O.), da der mit der Gewerkschaft bereits weit im Vorfeld der Tarifrunde abgestimmte und von keiner Seite in Frage gestellte Verhandlungsfahrplan bisher nicht abgearbeitet worden ist.

Die vereinbarten Verhandlungen der Tarifvertragsparteien werden am 28. November 2005 wie geplant fortgesetzt. Bis Abschluss dieses Termins und ggf. weiterer fest vereinbarter Termine sind Warnstreiks und die Teilnahme von Arbeitnehmern an derartigen Aktionen rechtswidrig.

Mit freundlichen Grüßen,

Dr. Jörg Müller-Stein, Dr. Sebastian Hopfner