Überblick

Anspruch nach § 616 BGB trotz der besonderen Pandemiesituation?

Aus Sicht der Verwaltungsgerichte ist § 616 BGB nicht grundsätzlich ausgeschlossen, maßgebend für den Anspruch ist die Dauer der pandemiebedingten Arbeitsverhinderung.

In den letzten Monaten haben verschiedene Verwaltungsgerichte das Verhältnis von § 616 BGB (vorübergehende Verhinderung) und § 56 IfSG (Entschädigung) untersucht und hielten − ebenso wie das Verwaltungsgericht Koblenz in seiner Entscheidung vom 10.5.2021 (Arbeitgeber-Rundschreiben 45/2021 vom 24. Juni 2021) − § 616 BGB trotz der besonderen Pandemiesituation nicht für ausgeschlossen.

Maßgebend für den Anspruch sei, dass die pandemiebedingte Arbeitsverhinderung eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ i.S.d. § 616 BGB andauere. In den vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen wird dieser Begriff der „verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit“ nach § 616 BGB nicht abschließend geklärt. Die Entscheidungen orientieren sich am Verhältnis von Dauer des Arbeitsverhältnisses zur Dauer der quarantänebedingten Verhinderungszeit. Der Zeitraum, in der der Arbeitgeber leistungsverpflichtet ist, hängt danach von der Dauer des Dienstverhältnisses ab:

  • VG Bayreuth, Gerichtsbescheid v. 5.5.2021 – B 7 K 21.210: Eine insgesamt fünfzehntägige Quarantäne überschreitet in aller Regel die Grenze der verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit i.S.d. § 616 BGB.
  • VG Koblenz, Urteile v. 10.5.2021 – 3 K 107/21.KO; 3 K 108/21.KO: Die aufgrund der Absonderung eingetretene Dauer der Arbeitsverhinderung von sechs bzw. vierzehn Tagen stellt einen noch verhältnismäßig nicht erheblichen Zeitraum i.S.d. § 616 BGB dar.
  • VG Oldenburg, Urteil v. 26.4.2021 – 7 A 1497/21: Vier Tage sind eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit i.S.d. § 616 BGB.
  • OVG Lüneburg, Beschluss v. 2.7.2021 – 13 LA 258/21: Ein Zeitraum von vier Tagen ist eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit i.S.d. § 616 BGB.
  • VG Freiburg, Urteil v. 2.7.2021 – 10 K 547/21: In Anbetracht des Umstands, dass hier tatsächlich eine Arbeitsverhinderung von nur zwei Tagen in Rede steht, hat diese für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit i.S.d. § 616 BGB bestanden.

Bewertung

Es erscheint bereits sehr fraglich, ob bei einer allgemeinen Gefahrenlage wie der Pandemie überhaupt ein für einen Anspruch nach § 616 BGB vorausgesetztes subjektives Leistungshindernis angenommen werden könne, ob also eine pandemiebedingte Arbeitsverhinderung nicht vielmehr als objektives Leistungshindernis angesehen werden müsse und damit keinen in der Person des Arbeitnehmers liegenden Hinderungsgrund für die Fortführung der Beschäftigung darstellen könne. Darüber hinaus ist in der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte anerkannt, dass längerfristige Verhinderungen von der Arbeitsleistung die Anwendung von § 616 BGB insgesamt ausschließen. Diese Erheblichkeitsschwelle des § 616 BGB wird generell bereits nach wenigen Tagen – zumindest aber bei mehr als fünf Tagen – überschritten. Der § 616 BGB greift dann nach ganz überwiegender und vom Bundesarbeitsgericht anerkannter Ansicht insgesamt nicht ein („Alles-oder-Nichts-Prinzip“).

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