Geschichte des Verbandes

Gründung des Verbandes

Ab 1947 schlossen sich die Versicherungsunternehmen in den westlichen Besatzungszonen zu regionalen Arbeitgebervereinigungen im Versicherungswesen zusammen. Am 5. Oktober 1950 erfolgte dann der Zusammenschluss der Arbeitgebervereinigungen der westlichen Besatzungszonen und damit die Gründung des „Arbeitgeberverbandes der Versicherungsunternehmungen“ in Bad Kissingen.

Von der Kaiserzeit bis zum zweiten Weltkrieg

Die offizielle Gründung des Arbeitgeberverbandes der Versicherungsunternehmen in Deutschland (AGV) liegt zwar „erst“ 75 Jahre zurück. Dennoch reichen die Vorläufer des Verbandes bereits bis in die Zeit des Wilhelminischen Reiches und die Weimarer Republik zurück.

Zwischen 1895 und 1914 war das deutsche Kaiserreich von einer fast ununterbrochenen Phase der Hochkonjunktur geprägt. Dabei überholte es das bis dahin dominierende England im Bereich der Industrieproduktion und schloss auch als Welthandelsmacht immer enger auf. In nahezu allen europäischen Staaten, so auch im deutschen Kaiserreich, traten Arbeiter in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts für die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen in den Streik, mit der Folge, dass auch die deutsche Gesetzgebung einen sozialpolitischen Umbruch vollzog: Die Arbeit von Kindern in der Industrie, Nachtarbeit von Frauen sowie Sonntagsarbeit wurden verboten.

Allerdings wurden nicht alle Neuerungen wohlwollend aufgenommen. Das Bemühen der konservativen Reichsregierung, die Sozialgesetzgebung voranzutreiben, wurde als Versuch gewertet, die Angestellten als Wählerklientel für die Regierungsparteien auf Kosten der sonstigen Bevölkerung zu privilegieren. Beispielhaft sei das „Versicherungsgesetz für Angestellte“ vom Dezember 1911 angeführt. Damit wurde erstmals ein Gesetz verabschiedet, das die Angestellten im Alter und bei Berufsunfähigkeit absicherte. Das Angestelltenversicherungsgesetz bildete die Grundlage der später folgenden Rentenversicherungsgesetze. Allerdings löste das 1911 erlassene Gesetz Bedenken bei den Lebensversicherungsanstalten aus, da unklar schien, ob bestehende Versicherungen ihre Gültigkeit behielten. Sie forderten daher die „Zulassung aller bestehenden leistungsfähigen Versicherungseinrichtungen des Privatbetriebs und der ihnen abgeschlossenen Kollektiv- und Einzelverträge als Ersatz für die staatliche Versicherungspflicht“.

Im Zuge der Diskussion um das Reichsgesetz zur Angestelltenversicherung wurde die Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens der Träger verschiedener Versicherungszweige deutlich. Sie schlossen sich im Jahre 1913 zum „Zentralverband der Deutschen Privatversicherungen“ zusammen.

1919 konstituierte sich der „Arbeitgeberverband Deutscher Versicherungsunternehmen“, der im selben Jahr erstmals die Aufgabe übernahm, als offizieller Vertreter der Versicherungen in Deutschland Tarifverhandlungen mit Arbeitnehmerorganisationen zu führen. Im „Reichstarifvertrag des privaten Versicherungsgewerbes“ von 1919 wurden die Arbeitsbedingungen in der Versicherungswirtschaft für ganz Deutschland geregelt. Da sich die Verhandlungspartner 1920 nicht auf einen Anschlusstarifvertrag einigen konnten, kam es zu einem dreitägigen Streik – dem bis heute einzigen „richtigen“ Arbeitskampf in der Geschichte der deutschen Versicherungswirtschaft! Der anschließend mit dem „Gewerkschaftsbund kaufmännischer Angestellter“ abgeschlossene zweite Reichstarifvertrag des privaten Versicherungsgewerbes hatte bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 Bestand.

Die Gleichschaltungsgesetze von 1933/34 hatten zum Ziel, alle staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen den ideologischen Vorstellungen der Nationalsozialisten unterzuordnen. Eigenständige Verhandlungen zwischen eigenständigen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen waren nicht mehr erwünscht und wurden unterbunden. Die Tarifautonomie war beseitigt. Die Organisationen der Tarifpartner wurden im nationalsozialistischen Einheitsverband „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF) zusammengeschlossen, nachdem die Gewerkschaften zerschlagen, ihr Vermögen konfisziert und das Streikrecht abgeschafft worden war.

Die DAF war ein der NSDAP angeschlossener Verband und damit Teil des Imperiums der Staatspartei. Während der Zeit des Nationalsozialismus regelte ein „Treuhänder der Arbeit“ die Arbeitsbedingungen für die Versicherungswirtschaft durch Erlass einer sogenannten Tarifordnung. Diese Tarifordnung glich inhaltlich im Wesentlichen dem Reichstarifvertrag des privaten Versicherungsgewerbes, lediglich der Aufbau und die Systematik wurden verändert.

Bildung von Versicherungsverbänden in den Nachkriegsjahren

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges galten die Tarifordnungen des „Sondertreuhänders der Arbeit“ weiter, bis die einzelnen Wirtschaftszweige wieder tariffähige Organisationen gebildet hatten. Die westlichen Besatzungsmächte wollten, dass die Arbeitsbedingungen – wie vor 1933 – eigenständig verhandelt werden. Zwischen 1933 und 1947 waren viele Mitarbeiter auf Grund von betrieblichen Spannungen und zum Ausgleich von Härten heraufgestuft worden, so dass ihre Bezahlung nicht mehr der ausgeübten Tätigkeit entsprach. Dies war sicherlich individuell zu rechtfertigen, gefährdete in der Konsequenz jedoch die Grundlagen tariflicher Entlohnung. Der spätere AGV-Vorsitzende Dr. Horst Schiemann, Vorstandschef der „Berlinischen Feuer-Versicherungs-Anstalt“, sprach rückblickend von einer „Tarifverzerrung, die drohte, das Tarifgefüge zu sprengen und eine gleichmäßige Bezahlung für die gleiche Arbeit in Frage zu stellen“. Diese Erkenntnis und der Wunsch der Gewerkschaften nach einem verhandlungsfähigen Partner auf Arbeitgeberseite haben die Besatzungsmächte nach Schiemanns Meinung bewogen, die Bildung von Arbeitgebergremien zu genehmigen. Den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) hatten die Siegermächte bereits kurz nach Kriegsende zugelassen.

Die ersten Zusammenschlüsse zu Arbeitgebervereinigungen im Bereich des Versicherungswesens erfolgten ab 1947 in den westlichen Besatzungszonen. In München trat im Juli ein vorbereitender Ausschuss zusammen. Die Gründungsversammlung fand am 6. November 1947 statt. Roman Simon, seinerzeit Vorstandsvorsitzender des Münchener Begräbnisvereins, wurde von den 73 Gesellschaftsvertretern einstimmig zum Vorsitzenden der „Arbeitgebervereinigung des Versicherungsgewerbes in Bayern“ gewählt.

Der Verbandsbeitrag der sogenannten Münchener Vereinigung betrug damals eine Reichsmark pro Beschäftigten. Nur einen Monat später empfahl die „Vereinigung der in Württemberg/Baden tätigen Versicherungsunternehmen“ ihren Mitgliedern den Beitritt zur Münchener Vereinigung. Daraus entstand eine Art Dachorganisation für die amerikanische und französische Zone. Am 9. Januar 1948 fand in Köln die Gründungsversammlung der „Arbeitgebervereinigung des privaten Versicherungsgewerbes in der Britischen Zone“ statt, die Hannover als ihren Sitz wählte.

Im Jahr 1948 etablierte sich der „Gesamtverband der Versicherungswirtschaft“ (GDV) als wirtschaftspolitischer Verband der deutschen Versicherungsunternehmen in den drei westlichen Besatzungszonen. Die drei Arbeitgebervereinigungen vereinbarten mit dem GDV, dass die sozialpolitische Arbeit den Arbeitgebervereinigungen vorbehalten bleiben sollte. Sie kooperierten eng miteinander und verhandelten gemeinsam mit den Gewerkschaften. Der erste Tarifabschluss für die Versicherungswirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg kam am 1. Juli 1949 zustande, wenige Wochen nachdem die Bundesrepublik Deutschland gegründet worden war. Er galt zunächst nur im Gebiet der französischen Besatzungszone, wurde aber mit Wirkung ab 1. Januar 1951 auf alle in den einstigen drei Westzonen ansässigen Versicherungsunternehmen ausgedehnt.

Auf dem Weg zum Zusammenschluss der Arbeitgebergremien

Die Arbeitgebervereinigungen der drei westlichen Zonen waren bereits kurz nach ihrer Gründung eine Arbeitsgemeinschaft eingegangen. Länder- und zonenübergreifende Tarifverträge wurden von einem „Koordinierungsausschuss für Lohnfragen“ überprüft und genehmigt. Vorstandssitzungen und Mitgliederversammlungen fanden getrennt statt, während die Verhandlungen mit den Gewerkschaften gemeinsam geführt wurden. Am 7. Oktober 1949 wurde erstmals bei einer Vorstandssitzung der Münchener Vereinigung die Möglichkeit eines Zusammenschlusses diskutiert. Der Vorsitzende Roman Simon strebte eine engere Zusammenarbeit mit den anderen beiden Arbeitgebervertretungen in der Versicherungswirtschaft an. Dabei war die Gründung eines einheitlichen Verbandes für ihn eine Option. Aber auch eine Zweiteilung konnte er sich vorstellen, „solange die einzelnen Zonen so stark auseinanderklaffen“. Es komme, so Simon, nicht auf die „formalistische Einheit, sondern auf die innere Einheitlichkeit“ an. Der Vorstand der Münchener Vereinigung forderte in der Folge seine Mitglieder auf, über die Auswirkungen einer Fusion nachzudenken. Einige Vorstandsmitglieder glaubten, lokale Interessen könnten in einem Einheitsverband nicht genügend gewahrt werden. Außerdem wurde das damalige Lohngefälle zwischen Nord- und Süddeutschland als Stolperstein für spätere Tarifverhandlungen angesehen. Trotz dieser Bedenken überzeugten letztendlich die Vorteile eines einheitlichen Arbeitgeberverbandes: Ein Einheitstarif würde beispielsweise die Versetzung von Angestellten von einer Niederlassung zu einer anderen erleichtern. Darüber hinaus würde die gleiche Bezahlung innerhalb des gesamten Versicherungsgewerbes gewährleistet.

In Vorbereitung ihrer Mitgliederversammlung beriet der Vorstand der Münchener Vereinigung im Frühjahr 1950 über die Struktur eines einheitlichen Verbandes. Die Vorstandsmitglieder diskutierten insbesondere Fragen nach Vorsitz, Verbandssitz und Satzungsgestaltung. Schließlich lag am 28. Juni 1950 ein erster Entwurf zur „Satzung der Arbeitgebervereinigung der Versicherungswirtschaft“ vor. Auf dessen Grundlage beauftragte die Mitgliederversammlung der Münchener Vereinigung am 7. Juli 1950 den Vorstand, in Verhandlungen über die Bildung eines einheitlichen Arbeitgeberverbandes für das Versicherungsgewerbe einzutreten.

Unterzeichnung in Bad Kissingen 1950

Folgt man den Schilderungen des späteren AGV-Vorsitzenden Dr. Horst Schiemann, so wurde die Mitgliederversammlung des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft am 5. Oktober des Jahres 1950 in Bad Kissingen kurzfristig zur Gründungsversammlung eines einheitlichen Arbeitgeberverbandes „umfunktioniert“. Ein mit „großer Mehrheit der Gesellschaftsvorstände gefasster Beschluss überspielte das Stadium der Verhandlungen“, so ist in Schiemanns Bericht zum 15-jährigen Bestehen des Verbands zu lesen. Dr. Werner Plath, der Generaldirektor der „National“ Allgemeine Versicherungs-AG in Lübeck, übernahm die Leitung der Versammlung im Bad Kissinger Palasthotel Sanner, an der etwa 140 Vertreter von Versicherungsunternehmen teilnahmen.

Angesichts der bevorstehenden Verhandlungen mit den Gewerkschaften müsse die Gründung eines einheitlichen Verbandes schnellstens erfolgen, leitete Plath ein. Formalrechtliche Bedenken sollten deshalb zurückgestellt werden. Wer bereit sei, die Gründung zu vollziehen, solle seinen Beitritt auf einer Liste schriftlich erklären. Die Vertreter von 82 Versicherungsunternehmen stimmten dem Zusammenschluss der Vereinigungen mehrheitlich zu. Drei Unternehmen enthielten sich. Die Gründung eines einheitlichen Arbeitgeberverbandes für das Versicherungsgewerbe war damit beschlossen.

Zum vorläufigen Vorsitzenden ernannte die Versammlung Roman Simon, zu seinem Stellvertreter wurde Christian Bolwig, der Vorstandschef der Concordia Hannoversche Feuerversicherungs-Gesellschaft, gewählt. Als Verbandssitz des AGV bestimmten die Mitglieder München, und zwar mit der Begründung, dass der Norden Deutschlands bereits durch den „Gesamtverband der Versicherungswirtschaft“ berücksichtigt worden sei.

In den darauf folgenden Wochen erarbeitete der Vorsitzende Simon eine endgültige Satzung für den Verband. Gleichzeitig wurden die Rechtsfragen, die mit der Neugründung des AGV einhergingen, geprüft. In dem Gutachten wurden die Auswirkungen auf bestehende Tarifverträge, die Rechtsfähigkeit sowie die zu ergreifenden Maßnahmen geklärt. Abweichungen zwischen den Satzungen der beiden Arbeitgebervereinigungen ergaben sich laut Gutachten „im Wesentlichen nur aus dem Sitz und dem örtlichen Geltungsbereich“.

Am 13. Dezember 1950 verabschiedete eine Mitgliederversammlung die Satzung und bestätigte nun auch den Vorstand endgültig. Die Amtsdauer des Vorstandes wurde auf zwei Jahre festgelegt. Außerdem entschied die Versammlung, dass die sechs Gebiete Bayern – Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern, Südbaden – Hessen, Rheinland-Pfalz – Nordrhein-Westfalen – Niedersachsen, Bremen – Hamburg und Schleswig-Holstein jeweils durch wenigstens ein Vorstandsmitglied vertreten sein sollten. Dass ein einheitlicher, entscheidungsfähiger Arbeitgeberverband unverzichtbar war, belegte auch die Tatsache, dass der AGV zwischen Dezember 1950 und Herbst 1951 beinahe monatlich mit den Gewerkschaften verhandelte.