Überblick

COVID-19-Krise: Umgang mit der Präsenzsitzungspflicht von Betriebsratsgremien

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) plant keine Gesetzesänderung.

Die COVID-19-Krise bringt es mit sich, dass für Betriebsratsgremien Kollisionslagen entstehen, wenn die Organisation einer Präsenzsitzung aufgrund aktuellen betrieblichen Gegebenheiten (weitgehende Umstellung auf Home-Office-Arbeit; Reisebeschränkungen) nicht durchgeführt werden können. Nach herrschender Meinung in der Literatur können Beschlüsse von Betriebsratsgremien nur in Präsenzveranstaltungen gefasst werden (vgl. Richardi/Thüsing, 16. Auflage 2018, § 33 Rn. 3; DKK, 16. Auflage 2018, § 33 Rn. 10; Fitting, 30. Auflage 2020, § 33 Rn. 21b). Als Begründung wird dabei überwiegend ein Verstoß gegen das Anwesenheitserfordernis bei der Abstimmung nach § 33 Abs. 1 S. 1 BetrVG sowie den Nichtöffentlichkeitsgrundsatz aus § 30 S. 4 BetrVG ins Feld geführt.

Die vorbezeichneten gesetzlichen Regelungen gelten auch während der aktuellen COVID-19-Krise. Mit einer gesetzgeberischen Maßnahme ist nicht zu rechnen. Dies ergibt sich mittelbar aus der beigefügten „Ministererklärung" des Bundesministers für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil (Anhang). Mit dieser Erklärung wird lediglich eine Rechtsauffassung des Bundesarbeitsministers formuliert, welche nicht mit der herrschenden Auffassung in der Literatur übereinstimmt. Die Ministererklärung war offenbar die Reaktion auf das Schreiben eines Branchen-Arbeitgeberverbandes, mit welchem eine Gesetzesänderung in den Raum gestellt wurde. Der Deutsche Gewerkschaftbund (DGB) sprach sich zwischenzeitlich gegen die in der „Ministererklärung” dargetane rechtliche Position aus und trägt diese nicht mit.

Für die Rechtsauffassung des BMAS lassen sich durchaus gewichtige Argumente finden. So vertreten etwa Thüsing/Beden mit nachvollziehbaren Argumenten in einem in der Zeitschrift Betriebs-Berater veröffentlichten Kurzaufsatz die Auffassung, dass sich den Gesetzen die Pflicht für Präsenzsitzungen nicht entnehmen ließe (vgl. Thüsing/Beden, BB 2019, S. 372 ff.).

Empfehlung

Die Geschäftsführung des AGV rät den Mitgliedsunternehmen zu einer pragmatischen Umgangsweise mit dem Thema. Es wird empfohlen, Betriebsratsgremien die technischen Möglichkeiten für Betriebsratsratssitzungen via Video-Konferenz bzw. Webkonferenz zur Verfügung zu stellen. Die Entscheidung, ob diese technischen Möglichkeiten genutzt werden, müssen die Betriebsratsgremien selbst treffen.

Etwaige, durch die Abhaltung von Video- bzw. Webkonferenzen, eintretende rechtliche Risiken (unwirksame Beschlüsse) könnten dadurch eingegrenzt werden, dass bei nächster Gelegenheit einer Präsenzsitzung nachlaufende Genehmigungsbeschlüsse gefasst werden. Bei Anhörungsverfahren gem. § 102 BetrVG (Anhörung zu Kündigung) gilt der Grundsatz, dass formelle Vestöße der Betriebsratsgremien für die Arbeitgeber keine Relevanz haben, sofern der Arbeitgeber keine Kenntnis von den Verfahrensverstößen hat. Dessen ungeachtet ist zu empfehlen, bei verfahresbeendigenden Beschlüssen, die ggf. unter Verstoß gegen die nach h.M. bestehenden Präsenzpflicht zustande gekommen sind, vor Anspruch von Kündigungen die Erledigungsfristen des § 102 BetrVG abzuwarten.

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