Überblick

Freizügigkeit von Arbeitskräften während der COVID-19-Krise

Europäische Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf, insbesondere Grenzgänger, Entsandte und Saisonarbeitskräfte in systemrelevanten Funktionen einheitlich zu behandeln und ihren Grenzübertritt zu gewährleisten.

Mit einer am 30. März 2020 veröffentlichten Mitteilung über Leitlinien zur Ausübung der Freizügigkeit systemrelevanter Arbeitskräfte während des COVID-19-Ausbruchs (Anhang A) adressiert die Europäische Kommission die Beeinträchtigungen der Freizügigkeit von mobilen Arbeitskräften durch Grenzkontrollen und fordert die Mitgliedstaaten zu verhältnismäßigen und nicht-diskriminierenden Maßnahmen auf. Mit der Mitteilung will die Kommission sowohl den Infektionsschutz als auch die Integrität des Binnenmarktes sicherstellen.

Grenzgänger und entsandte Arbeitnehmer in systemrelevanten Funktionen sowie Saisonarbeitskräfte

Aus Sicht der Kommission üben insbesondere in Grenzregionen Grenzgänger systemrelevante Funktionen aus, die einen ungehinderten Grenzübertritt unerlässlich machen. Die Gewährleistung der Freizügigkeit aller Arbeitskräfte – einschließlich entsandter Arbeitnehmer – in kritischen Berufen (etwa Berufe im Gesundheitswesen, Betreuungspersonal für Kinder und ältere Menschen, Wissenschaftler, Techniker, Ingenieure, Arbeitskräfte im Verkehrssektor sowie Personen, der Lebensmittelbranche, z. B. Erntehelfer) sei daher von wesentlicher Bedeutung. Über die genannten Berufsgruppen hinaus sollte Grenzgängern und Entsandten generell der Grenzübertritt für ihre Arbeit gestatten werden, solange deren Tätigkeit kein reguläres Beschäftigungsverbot im Beschäftigungsstaat entgegensteht. Saisonarbeitskräfte, die etwa in der Landwirtschaft wesentliche Aufgaben wahrnehmen, sollten wie systemrelevante Arbeitskräfte behandelt und der Grenzübertritt gestattet werden, vorausgesetzt die Arbeit in dem betreffenden Sektor im Aufnahmemitgliedstaat ist noch erlaubt.

Für den Fall, dass bei Grenzübertritt oder im grenznahen Gebiet in Mitgliedstaaten Gesundheitskontrollen durchgeführt werden, müssten die Gesundheitskontrollen unter denselben Bedingungen durchgeführt werden, dürften also nicht über das hinausgehen, was für eigene Staatsangehörige für bestimmte Berufsgruppen festgelegt wurde. Dabei sei sicherzustellen, dass die Gesundheitskontrollen den Verkehrsfluss nicht behindern.

Anwendbares Sozialversicherungsrecht

Hinsichtlich des anwendbaren Sozialversicherungsrechtes hatte sich die Kommission in der Mitteilung vom 30. März 2020 noch dahingehend positioniert, dass die Mitgliedstaaten in Situationen, in denen es durch eine Änderung der Arbeitsorganisation zu einem ungewollten Wechsel der sozialversicherungsrechtlichen Zuständigkeit kommt (vgl. Arbeitgeber-Rundschreiben 12/2020 um 18. März 2020) von den Ausnahmetatbeständen des Art. 16 der Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO 883/2004) Gebrauch machen sollen. Die Arbeitgeber sollten dann einen entsprechenden Antrag an den Sozialversicherungsträger richten, bei dem der Arbeitnehmer bislang versichert war, um die mitgliedstaatlich geschaffenen Ausnahmetatbestände zu nutzen.

Da diese Haltung der EU-Kommission auf massive Kritik seitens der Arbeitgeberverbände stieß, da durch die Notwendigkeit entsprechender Antragstellungen ein extrem hoher bürokratischer Aufwand entstehen würde, hat die Kommission nunmehr in einem Informationsblatt für Grenzgänger eine etwas pragmatischere Position vertreten als noch in der Mitteilung vom 30. März 2020. Für den Fall eines Grenzgängers, der ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnsitzstaat arbeitet, stellt die EU-Kommission in diesem FAQ-Papier (Anhang B) folgendes klar:

If you are a frontier worker working exclusively in a Member State other than the Member State of residence you are currently insured in the Member State of employment. If you are now unable to work in your ordinary Member State of employment, and for a temporary period, you have to work from home, this situation should in principle not lead to a change in the applicable legislation as regards your social security coverage, since that situation is temporary. You will continue to be entitled to all social security benefits from the Member State of employment.“

Es wird damit also klargestellt, dass Grenzgrenzgänger, die aufgrund der COVID-19-Krise ihre Arbeit vorübergehend im Home-Office im Wohnsitzstaat verrichten müssen, weiterhin im ursprünglichen Beschäftigungsland sozialversichert bleiben und diese Ausnahmesituation zu keiner Änderung des bereits geltenden Sozialversicherungsrechts führt. Eine gesonderte Antragstellung durch den Arbeitgeber nach Art. 16 der Verordnung Nr. 883/2004 würde sich damit erübrigen.

Zur Frage des anwendbaren Sozialversicherungsrechts bei Grenzgängern im Zusammenhang mit COVID-19-bedingtem Home-Office befindet sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bereits in engem Kontakt mit den zuständigen Ministerien der angrenzenden Mitgliedstaaten. Es besteht zu dieser Frage Einigkeit, dass die aktuelle Sondersituation pragmatisch gehandhabt werden muss und COVID-19-bedingtes Home-Office nicht zu einer Änderung des anwendbaren Sozialversicherungsrechts führen soll. Manche Mitgliedstaaten haben bereits Verwaltungsvorkehrungen getroffen, um klarzustellen, dass die Verrichtung der Arbeit im Home-Office im Wohnsitzstaat keine Auswirkungen auf den anzuwendenden Sozialversicherungsstatus hat, wie z. B. Deutschland, Belgien, Frankreich und die Niederlande.

Die Arbeitgeberverbände setzen sich bei der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten weiterhin dafür ein, dass dieser pragmatische Ansatz auch eine abschließende rechtliche Anerkennung erfahren wird.

Wir informieren in diesem Rundschreibendienst über die weiteren Entwicklungen.

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